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Klassifizierung von Anwendungsteilen

....B, BF, CF - WTF?

Was ist das Problem?

Neben der elektrischen Schutzklasse (SK I, SK II, intern mit Strom versorgt) eines medizinisch elektrischen Geräts, kurz ME-Gerät, müssen dessen Anwendungsteile zusätzlich bezüglich ihres Schutzes gegen elektrischen Schlag klassifiziert werden (B, BF, CF, defibrillationsgeschützt). Welche Klassifizierung wann notwendig ist und was dahinter steckt, ist oftmals unklar. Eine unpassende oder gar falsche Klassifizierung kann zu unnötig hohen Anforderungen oder aber zur Patientengefährdung führen.

Wie klassifiziere ich die Anwendungsteile meines medizinisch elektrischen Geräts korrekt und welche Anforderungen ergeben sich daraus?

Anwendungsteil vs. Patientenanschluss

Um die Klassifizierung der Anwendungsteile zu verstehen, muss zuerst der folgende Unterschied zwischen einem Anwendungsteil und einem Patientenanschluss verstanden werden.

  • Anwendungsteile sind definiert als Teile, mit denen der Patient im bestimmungsgemäßen Gebrauch zwingend in physischen Kontakt kommt, damit die Funktion des Geräts erfüllt werden kann (IEC 60601-1, cl. 3.8). Diese Definition reicht von rein mechanischen (z.B. zur Patientenlagerung) bis zu elektrophysiologischen (z.B. Elektroden) Anwendungsteilen.
  • Neben der sehr strikten Anforderung des "zwingenden physischen Kontakts" müssen auch Teile, die den Patienten berühren, dahingehend beurteilt werden, ob diese nicht trotzdem den Anforderungen von Anwendungsteilen unterliegen (IEC 60601-1, cl. 4.6). In der Regel sind dies Teile, die im bestimmungsgemäßen Gebrauch mit dem Patienten in Kontakt kommen, auch wenn dies nicht zwingend erforderlich ist und es keinerlei Maßnahmen gibt, die diesen Kontakt wirksam verhindern.
  • Der Patientenanschluss wiederum ist laut Definition (IEC 60601-1, cl. 3.78) ein individueller Punkt eines Anwendungsteils, durch den Strom zwischen dem Patienten und dem Gerät fließen kann (sowohl im Normalzustand als auch beim Ersten Fehler).

Als Beispiel sei hier eine EKG-Klebe-Elektrode genannt (siehe auch IEC 60601-1, Bild A.1):

  • Das Anwendungsteil per Definition ist die Elektrode inkl. der entsprechenden Klebefläche.
  • Das Kabel hat üblicherweise Kontakt mit dem Patienten, auch wenn dies für die eigentliche Funktion nicht zwingend erforderlich ist. Daher unterliegt es denselben Anforderungen wie ein Anwendungsteil.
  • Die elektrisch leitende Elektrodenkontaktfläche ist der Patientenanschluss.

Grundlage der Klassifizierung

Die grundlegende Unterscheidung von Anwendungsteilen lautet:

  • CF ("Cardiac Floating"): Das Anwendungsteil ist zur direkten Nutzung am Herzen bestimmt. In der Praxis umfasst dies auch die Anwendung nahe am Herzen, also auch aussen am Körper und nicht nur innerhalb des Körpers direkt am offenen Herzen.
  • BF ("Body Floating"): Ein Anwendungsteil mit einem Patientenanschluss, über das eine elektrische Energie oder ein elektropyhsiologisches Signal zwischen den ME-Gerät und dem Patienten ausgetauscht wird. Hierzu gehören also prinzipiell alle möglichen Arten von Sensoren, die ein Signal am Patienten erfassen oder aber auch Elektroden o.ä., die Signale oder Energie zum Patienten senden.
  • B ("Body"): Weder CF noch BF.

Wichtig: Normen mit besonderen Anforderungen (Kollateral- und Partikularnormen) können bestimmte Klassifikationen vorgeben. So erlauben die IEC 60601-1-11 (Häusliche Umgebung) und -1-12 (Notfalleinsatz) nur BF oder CF Anwendungsteile!

Die Klassifizierung basiert also auf dem Risiko, dass ein Stromfluss durch den Patienten wahrscheinlich und gefährlich ist. Bei einem reinen Patientenlagerungstisch ist die Wahrscheinlichkeit des elektrischen Schlages geringer (→ B) als bei einer Elektrode, die einen direkten leitfähigen Kontakt mit dem Patienten herstellt (→ BF). Und weiter ist der Schaden durch einen elektrischen Schlag am Herzen weitaus größer (→ CF) als an der Hand oder am Fuss.

Konsequenzen der Klassifizierung

Je nach Anwendungsteilklassifizierung ergeben sich unterschiedlich strenge Anforderungen an die maximal erlaubten Patientenhilfs- und -ableitstromwerte und an die elektrische Trennung zum Schutz gegen elektrischen Schlag (MOPPs).

Ableitströme

Je nach Klassifizierung gelten unterschiedliche Grenzwerte und Prüfbedingungen für Patientenableitströme und Patientenhilfsströme.

Die folgenden Tabellen zeigen die maximal erlaubten Ableitströme je nach Prüfbedingung und Anwendungsteilklassifizierung (alles in µA)

Im Normalzustand und beim Ersten Fehler:

B / BFCF
NCSFCNCSFC
Patientenhilfsstrom undDC:10501050
Patientenableitstrom zur Erde (auch durch Spannung an einem SIP / SOP!)AC:1005001050
GesamtpatientenableitstromDC:5010050100
(auch durch Spannung an einem SIP/SOP!)AC:500100050100

 

Unter speziellen Prüfbedingungen (weder Normalzustand noch Erster Fehler):

Hervorgerufen durch äußere Spannung: BBFCF
Patientenableitstromam Anwendungsteil Typ Fnicht anwendbar 5000500
an nicht PE-verbundenen met. berührbaren Teilen500500---
Gesamtpatientenableitstromam Anwendungsteil Typ F nicht anwendbar5000100
an nicht PE-verbundenen met. berührbaren Teilen10001000---

Die Grenzwerte für AC-Stromkomponenten bei CF Anwendungsteilen sind enorm streng, da hier das größte Risiko durch die Anwendung am Herzen herrscht. Die Grenzwerte für B und BF Anwendungsteile sind miteinander vergleichbar, es gibt lediglich spezielle Prüfbedingungen, die für reine B Anwendungsteile nicht anwendbar sind.

Elektrische Trennung von Teilen

F-Anwendungsteile (BF und CF, IEC 60601-1, cl. 8.5.2.1)

Hierbei sticht das besondere Schutzniveau von F-Anwendungsteilen hervor: Während normalerweise eine Schutzleiterverbindung als einzelne Schutzmaßnahme implementiert werden kann, so ist dies bei F-Anwendungsteilen sogar verboten! (Dies ergibt sich schon aus der Bezeichnung: "F = Floating").

Es wird gefordert, dass die Patientenanschlüsse von F-Anwendungsteilen von allen anderen Teilen (und damit eben auch von Erdverbindungen) inkl. Patientenanschlüsse anderer Anwendungsteile mittels einer einzelnen Schutzmaßnahme getrennt sein müssen. Als Arbeitsspannung wird dabei die maximale Netzspannung zugrunde gelegt. Es gibt keine Unterscheidung zwischen BF und CF.

Warum wird hier nur eine Schutzmaßnahme gefordert?

Diese besondere Anforderung soll verhindern, dass ein Patient, der unter Spannung steht, durch das Anwendungsteil geerdet wird. Dies ist eine der oben genannten "speziellen Prüfbedingungen", die weder den Normalzustand noch einen Ersten Fehler darstellen. Die Forderung nach einer einzelnen Schutzmaßnahme stellt sozusagen einen Kompromiss dar.

Ein weiterer wichtiger Hinweis: Die geforderte einzelne Schutzmaßnahme gegen Netzspannung ist stets zusammen mit der grundlegenden Forderung nach zwei Schutzmaßnahmen gegen Sekundärspannungungen zu betrachten! Meist ist 1 MOPP gg. Netz größer als 2 MOPP gg. Sekundär. Sollten jedoch hohe sekundäre Arbeitsspannungen (z.B. HV-Anwendungen) vorhanden sein, so kann dies auch umgekehrt sein!

B-Anwendungsteile (IEC 60601-1, cl. 8.5.2.2)

Im Gegensatz zu BF-/CF-Anwendungsteilen ist eine Schutzerdung bei B-Anwendungsteilen als Schutzmaßnahme gegen elektrischen Schlag erlaubt und auch üblich. Des Weiteren besteht bei B-Anwendungsteilen nicht die spezielle Prüfbedingung mit Spannung am Anwendungsteil..

Allerdings gibt es konkrete Anforderungen für den Fall, dass das B-Anwendungsteil nicht mit dem Schutzleiter verbunden ist. In diesem Fall muss eine einzelne Schutzmaßnahme zwischem dem Anwendungsteil und anderen metallischen berührbaren Teilen, die ebenfalls nicht schutzleiterverbunden sind, vorhanden sein. Die Norm gibt hier nicht an, welche Spannung dabei zugrunde gelegt werden soll. Es obliegt also dem Hersteller zu ermitteln, welche Spannungen mit dem metallischen berührbaren Teil in Kontakt kommen könnten. Konservativ sollte hier von der maximalen Netzspannung ausgegangen werden.

Warum wird auch hier nur eine einzelne Schutzmaßnahme gefordert?

Dies ist analog zu der speziellen Prüfsituation mit Spannung am BF-/CF-Anwendungsteil zu erklären. Es wird hierbei die spezielle Prüfbedingung einer Spannung an einem metallischen berührbaren Teil, das nicht schutzleiterverbunden ist geprüft. Da dieser Fall wieder weder Normalzustand noch Erster Fehler ist, aber trotzdem eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, wird lediglich eine einzelne Schutzmaßnahme gefordert.

Allerdings gibt es Ausnahmen von dieser Forderung:

  • Falls das Anwendungsteil physikalisch mit dem besagten berührbaren Teil als zusammenhängend betrachtet werden kann (dann ist allerdings auch keine wirkliche Unterscheidung zwischen beiden Teilen möglich) oder
  • Falls durch das Risikomanagement beurteilt wird, dass die Wahrscheinlichkeit des Kontakts zwischen der externen Spannung und dem besagten berührbaren Teil vernachlässigbar ist bzw. dass in diesem Fall die Ableitstromgrenzen nicht überschritten werden.

In den meisten Fällen handelt es sich bei B-Anwendungsteilen um rein passive mechanische Teile, die eine Schutzerdung leicht ermöglichen und lediglich die entsprechende zweite Schutzmaßnahme zum Patientenschutz zu gefährlichen Spannungen implementiert werden muss. Andernfalls muss ergänzend auf die einzelne Schutzmaßnahme zu nicht schutzgeerdeten Teilen geachtet werden!

Defibrillationsschutz

Neben der Einteilung in B, BF oder CF gibt es noch die zusätzliche Klassifizierung als "defibrillationsgeschützt", welche mit den grundlegenden Klassifizierungen kombiniert wird - also z.B. "B + defibrillationsgeschützt" oder "CF + defibrillationsgeschützt".

Die Klassifizierung erfolgt auf der Beurteilung des Herstellers, ob der gleichzeitige Einsatz des betreffenden Anwendungsteils und während einer Defibrillation möglich bzw. wahrscheinlich ist. Dies kommt z.B. bei notfall- oder intensivmedizinischen Anwendungen in Frage. Neben der Herstellerbeurteilung können Normen mit besonderen Anforderungen (Partikulärnormen) diese Klassifizierung explizit fordern.

Eine solche Klassifizieung zieht die folgenden erhöhten Anforderungen an das Anwendungsteil nach sich:

Kriech-/Luftstrecken

Aufgrund der hohen Energien und Spannungen während einer Defibrillation dürfen die Kriech-/Luftstrecken in defibrillationsgeschützten Anwendungsteilen nicht kleiner als 4 mm sein. Dies entspricht letztendlich einer Arbeitsspannung von mindestens 250 Veff / 354 Vp, also im Bereich der Netzspannung.

Gleich-/Differenztaktprüfung

Bei diesen beiden Prüfungen wird eine Prüfspannung von 5 kVdc schlagartig über eine spezielle Prüfanordung an den Patientenanschlüssen desselben Anwendungsteils mit einer gemeinsamen Funktion angelegt.

Je nach Prüfung werden die Patientenanschlüsse dabei wie folgt geprüft:

  • Gleichtaktprüfung: Alle (ungeerdeten) Patientenanschlüsse gleichzeitig.
  • Differenztaktprüfung: Nacheinander jeder (ungeerdete) Patientenanschluss einzeln, wobei alle restlichen Patientenanschlüsse geerdet sind.

Während der Prüfung wird an folgenden Teilen die Spitzenspannung gemessen (mittels eines bestimmten Messkreises, siehe dazu Bild 9 und 10 der IEC 60601-1), welche nicht mehr als 1 V betragen darf:

  • Gehäuse,
  • SIP/SOPs,
  • ungeerdete berührbare Teile,
  • Patientenanschlüsse desselben Anwendungsteils aber mit anderer Funktion,
  • Patientenanschlüsse anderer Anwendungsteile,
  • einer Metallfolie unterhalb des Geräts,
  • unbenutzte und nicht angeschlossene Verbindungen des Anwendungsteils.

Letztendlich muss der Hersteller also sicherstellen, dass die entsprechenden Teile entsprechend gut voneinander getrennt sind. Die Anforderungen an die Isolationsbarrieren sind unter Umständen höher, als bei den "üblichen" Trennungsforderungen, da hierbei eine relativ hohe Prüfspannung stoßartig eingesetzt wird.

Energiereduzierungsprüfung

Durch diese Prüfung soll sichergestellt werden, dass während einer Defibrillation nur eine gewissene Energiemenge durch das zu prüfende Anwendungsteil "abgezapft" wird und dadurch die tatsächlich am Patienten applizierte Energie nicht zu stark reduziert wird.

Dabei wird mittels einer speziellen Prüfschaltung (IEC 60601-1, Bild 11) verglichen, wieviel Energie bei angeschlossenem und nicht angeschlossenem ME-Gerät in der 100 Ω-Prüflast ankommt. Bei angeschlossenem ME-Gerät muss die Energie in der Prüflast mindestens 90% der Energie betragen, die ohne angeschlossenes ME-Gerät gemessen wurde.

Kennzeichnung von Anwendungsteilen

Anwendungsteile müssen entsprechend ihrer Klassifizierung gekennzeichnet werden. Die möglichen Kombinationen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

Platzierung der Kennzeichnung

Die Wahl des korrekten Symbols ist trivial - trotzdem gibt es oft Diskussionen darum, wo die Kennzeichnung angebracht werden muss. Die Norm ist dabei eigentlich recht klar (IEC 60601-1, cl. 7.2.10):

  • Neben oder auf dem entsprechenden Steckverbinder des Anwendungsteils oder,
  • Falls kein Steckverbinder vorhanden ist, auf dem Anwendungsteil oder
  • Falls der Steckverbinder für mehrere Anwendungsteile mit unterschiedlichen Klassifikationen bestimmt ist, auf dem jeweiligen Anwendungsteil.

Für defibrillationsgeschützte Anwendungsteile, bei denen der Schutz teilweise in der Patientenanschlussleitung implementiert ist, muss ein allgemeines Warnzeichen in der Nähe des jeweiligen Anschlusses angebracht werden und in der Gebrauchsanweisung muss erläutert werden, dass der Schutz vom Einsatz einer geeigneten Leitung abhängt!

Hier stellt sich direkt die Frage, ob nun das Kabel an sich auch die entsprechende Kennzeichnung tragen sollte, damit dem Bediener klar ist, welche Leitung er denn verwenden kann. Dies ist in der Norm nicht eindeutig geregelt. Häufig wird dies aber genau so gehandhabt.

Wo finde ich Hilfe zur Lösung?

In unklaren Fällen bei der Klassifizierung von Anwendungsteilen oder den entsprechenden Anforderungen können Sie sich direkt an uns wenden - Wir unterstützen Sie gerne

Bei Fragen zur Festlegung bzw. Bestimmung der notwendigen Isolationsbarrieren helfen Ihnen sicherlich unsere beiden Blog-Beiträge zum Thema "Isolationsdiagramm":

Grundlegende Aspekte
Herleitung der Anforderugen an Isolationsbarrieren

Und was bedeutet das konkret?

Die Klassifizierung von Anwendungsteilen ist enorm wichtig für das sichere Design und die erfolgreiche Entwicklung! Nur die frühzeitige korrekte Klassifizierung und die Identifikation der daraus resultierenden Anforderungen an das Isolationskonzept verhindern, dass im Laufe der Entwicklung unnötige und teure Designänderungen auftreten!

Woran muss ich sonst noch denken?

Viele Anbieter von Komponenten für Medizinprodukte werben damit, dass ihre Produkte für bestimmte Anwendungsteilklassifizierungen geeignet seien. Allerdings müssen Sie als Hersteller stets beachten, wie diese Komponenten in Ihrem Gerät implementiert werden und welche konkreten technischen Anforderungen Sie erfüllen müssen! Der blinde Einsatz z.B. von "CF-geeigneten" Komponenten kann am Ende wesentlich teurer werden, als eine klare Formulierung Ihrer spezifischen Anforderungen!

Dr. Benjamin Weber
Laborleitung