Was ist eine kritische Komponente in der Medizintechnik?

Die IEC 60601-1 regelt das für aktive (elektrische) Medizinprodukte

In der Entwicklung und Herstellung steht die Sicherheit der Patienten, Anwendern und Dritten im Mittelpunkt. Ein zentraler Aspekt ist die Identifikation und das Management von kritischen Komponenten. Diese sind essenziell für die Sicherheit, Funktionalität und Zuverlässigkeit eines Medizinprodukts.

Hersteller, die Medizinprodukte nach IEC 60601-1 entwickeln, müssen kritische Komponenten sorgfältig bewerten, dokumentieren und im Risikomanagement nach ISO 14971 berücksichtigen. Dieser Blogbeitrag gibt eine praxisorientierte Einführung für Entwickler und Qualitätsmanager.

Was sind kritische Komponenten? (Sinngemäß nach IEC 60601-1)

Die IEC 60601-1 beschreibt in Abschnitt 4.8 kritische1 Komponenten als:

„Alle Bauelemente einschließlich der Verdrahtung, deren Ausfall eine Gefährdungssituation2 hervorrufen kann […].“

Bei dem Bauelement oder der Baugruppe muss sichergestellt sein, dass die angegebene Bauteilbemessung eingehalten wird und deren Schutzmaßnahme zuverlässig funktioniert.

Wichtig: Nicht jedes Bauteil ist automatisch eine kritische Komponente. Die Relevanz ergibt sich nicht aus dem Bauteiltyp selbst, sondern aus seiner Funktion im Medizinprodukt. Eine Komponente gilt als kritisch, wenn ihr Ausfall zu einem unvertretbaren Risiko führt.

Achtung: Dabei sind nicht nur elektrische Komponenten gemeint. Gefährdungen können unterschiedliche Ursachen haben, etwa:

  • elektrische Gefährdungen (z. B. durch Versagen der Isolation)
  • mechanische Gefährdungen (z.B. durch Instabilität)
  • thermische Gefährdungen (z. B. durch Überhitzung)
  • Beeinträchtigung der wesentlichen Leistungsmerkmale (Essential Performance)
  • Brandgefahr
  • Austreten von gefährlichen Substanzen oder Strahlung

Typische Beispiele für kritische Komponenten sind:

  • Sicherungen zum Schutz vor Überstrom und Feuer
  • netzbetriebene Komponenten (Netzkabel, Netzstecker, Kabelverbindungen, Netzteil)
  • Feuerfestes Gehäuse
  • Rollen an fahrbaren Medizinprodukten (z. B. zur Vermeidung von Kippen oder Wegrollen)
  • Tragesysteme zur Patientenbeförderung oder Gerätehalterung

Die Kritikalität ergibt sich nicht allein aus der Art des Bauteils, sondern aus dessen Funktion innerhalb des Medizinproduktes:

Wie können kritische Komponenten identifiziert werden? (Vorgehensweise für Hersteller)

Die IEC 60601-1 fordert in Abschnitt 4.2 explizit einen dokumentierten Risikomanagementprozess gemäß ISO 14971. Die Identifikation von kritischen Komponenten erfolgt im Rahmen des Risikomanagementprozesses in Kapitel 4.1. Eine strukturierte Vorgehensweise umfasst die folgenden Prozesse:

  1. Gefährdungsanalyse
    • Welche Gefährdungen können bei dem Medizinprodukt entstehen (elektrische Gefahr, mechanische Gefahr, akustische Gefahr, thermische Gefahr, Datenverlust, etc.)?
      → Dokumentation in der Risikoanalyse des Medizinproduktes
  2. Bewertung der Risiken
    • Ist das Risiko der Gefährdung vertretbar? 
      → In der Risikoanalyse des Medizinproduktes bewerten
    • Falls nein: Risikobeherrschungsmaßnahmen müssen umgesetzt werden.
  3. Entwicklung von Risikobeherrschungsmaßnahmen
    • Wie kann die Gefährdungssituation in der Schwere oder in der Wahrscheinlichkeit reduziert werden?
    • Falls eine Komponente eine Risikobeherrschungsmaßnahme ist: Kritische Komponente
      → Dokumentation in der Liste der kritischen Komponenten.
  4. Nachweis der Wirksamkeit der Risikobeherrschungsmaßnahmen
    • Schutzfunktion und Nachweis der Einhaltung durch
      • Prüfbericht
      • VDE-Zertifikat
      • UL-Nummer
      • Yellow Card von UL
      → Nachweise zur Liste der kritischen Komponenten hinzufügen

Regulatorische Anforderungen & Nachweise

Die IEC 60601-1 fordert in Abschnitt 4.8, dass kritische Komponenten – sofern keine Ausnahme dieser Norm oder im Risikomanagementprozess vorliegt – nach Normen oder durch Anforderungen aus der IEC 60601-1 geprüft sein müssen.

Praxisbeispiele

Hilfestellung bei der Suche für Nachweisen von Bauteilen

Fazit

Kritische Komponenten sind nicht nur technische Schlüsselbausteine, sondern auch normative Eckpfeiler zur Erfüllung der IEC 60601-1. Ihre Auswahl und Dokumentation muss risikobasiert, nachvollziehbar und normkonform erfolgen. Wer diese Anforderungen frühzeitig berücksichtigt, erleichtert sich nicht nur die Zulassung, sondern stellt auch die Sicherheit und Leistungsfähigkeit seiner Produkte sicher.

1 In der IEC 60601-1 wird nicht direkt von kritischen Komponenten gesprochen. Der Zusatz „kritisch“ kommt aus dem IEC CB Scheme und hat sich mittlerweile etabliert. 
2 Definition Gefährdungssituation nach ISO 14971: Zustand, in dem Menschen, Güter oder die Umwelt einer oder mehreren Gefährdungen ausgesetzt sind

Sarah Kompch
Prüfingenieurin, Labor